Ich schwöre

Heute vor 30 Jahren, am 5. April 1994, beging Kurt Cobain in seiner Garage in Seattle Suizid, durch einen Kopfschuss mit einem Gewehr.

„Memoria, memoria
And I swear that I don’t have a gun
No, I don’t have a gun“

Kurt Cobain, Liar, *20. Februar 1967, † 5. April 1994

Nichts gegen Cobain und Nirvana, schließlich habe ich die Nevermind und Unplugged auch im Regal stehen, was mich jedoch wirklich stört, ist, wie Kurt Cobain hochstilisiert wird, fast einem Märtyrer gleich und dazu Nirvana als Begründer des Grunge kategorisiert werden. Nirvana wurde 1987 gegründet, andere Wegbegleiter, wie Soundgarden, schon 1984. Wenn müsste ihnen die Ehre zuteilhaben oder Sonic Youth, 1981 gegründet. Zwar nicht in Seattle, aber musikalisch dem Garage zuzuorden, dem Vorläufer des Grunge.

Darüber hinaus war für mich die Musik von Nirvana aus dem Grunge-Topf die beschissenste. Die guten Songs von Nirvana waren Cover-Versionen (The Man Who Sold The World, Do You Love Me?, Lake Of Fire, Where Did You Sleep Last Night) oder bei den eigenen Songs, die von anderen gecovert wurden. Alice In Chains oder Soundgarden stehen für mich als guter Grunge. Bei Soundgarden tut es mir weh, dass auch Chris Cornell am 18. Mai 2017 ebenfalls Selbstmord beging. Und als erstes bringe ich Jimi Hendrix in Verbindung mit Musik aus Seattle. Dass Kurt durch seinen Freitod nun auch dem „Club 27“ zugehört, habe ich hier bereits thematisiert.

Wie es der Zufall so will, ist Layne Staley, Sänger von Alice In Chains, ebenfalls am 5. April verstorben. Layne wenigstens im Rock Style an einer Überdosis Heroin im Jahr 2002. Ruhe in Frieden, Layne.

Twen

Twen, das ist die Lebenszeit im Alter von 20 bis 30 Jahre. In meinem Fall lag meine Twen-Zeit in einer Dekade, die man die Neunziger nennt. Das war die Zeit des Abis, des Zivildienstes und die schön(st)e Zeit: dem Studiums. Es war die Zeit der Unbeschwertheit und die Zeit des teilweise unbedachten Handelns. Es war die Zeit der Parties, Kiffens und Konzerte, das Sex, Drugs & Rock’n’Roll der „Halbstarken“.

Das Internet war noch wirklich interessantes Neuland und das Handy und Mobilfunknetz steckte gerade in den Kinderschuhen. Es war das Web 1.0 und es gab noch keine Social-Networks und keine großen Player, die nun das Netz beherrschen. Dennoch funktionierte die Welt und das Leben sehr gut. Wir zahlen noch – sofern wir zahlten – in Bar und in D-Mark. Die Haare trug man lang, den Verstand kurz.

Es gab kaum ein Wochenende, an dem aus der großen Clique nicht irgendwer irgendwo eine Partie ausmachte. Es war die Zeit, in der wir mit knapp 15 Leuten in den Urlaub nach Griechenland fuhren, uns für 300 DM eine alte Karre kauften und es ging ab nach wohin wir wollten.

Es war die Zeit des PC69 mittwochs und freitags, des Falkendoms donnerstags und sonntags ins Forum (Enger). Darüber gab es noch viele „öffentliche“ Parties im Kamp, Chattanooga, die von und bei Tim’s Leihe in deren Lagerhalle und die Zeit der „Open Turntables“. Mein Weg nach Hause führte über diese Locations und hinterließ bei mir auch den einen oder anderen Filmriss. Wir kippten Bier und weißen Tequila auf den „What’s That Noise Tequila-Parties“. Die Musik zu der Zeit war nicht immer gut, aber es war auch die Zeit des Rock, Grunge, Techno und Electronic. Sie war zumindest von Bands/Musiker:innen und nicht von YouTube oder TikTok-Nichtstars.

Die Westendparties in der Uni wurden noch von den Fachbereichen selbst organisiert und die V2-Zahn-Parties legendär. Das „Casa“ war damals noch das „Cafe Casablanca“ und Dreh- und Angelpunkt des Frühschoppens und der Start ins Nachtleben. Das „Sounds“ wurde eröffnet und Ambiente-Abwechslung fand man im „Bitches Brew“ zu späterer Stunde und vorher in der „Kantine“. Das schnelle „Bier to Go“ gab es im „Fiesta“, bevor das „Mellow Gold“ einzog. Das Elfenbein öffnete seine Tore, die wir mit Fahrradschlösser wieder zumachten. Die „Blue Rat“ gab jeden Monat ihre Abschiedsparty und man fiel im Anschluss ins Sam’s. Arminia Bielefeld spielte in der Amateuroberliga und auf Auswärtsfahrten in der Provinz war das Bier in den Stadien schon meist aus, ehe das Spiel angepfiffen wurde.

Es war die Zeit der ONS und Quickies, man(n) nahm sich nach den Parties was „Warmes“ mit nach Hause. Wie erwähnt: Es war die Zeit der Unbeschwertheit und des teilweise unbedachten Handelns. Davon ausgenommen waren auch nicht ab und zu mal ein wenig „Handgemenge“. Uns war Vieles scheißegal. Aber wir waren niemals „satt“, es musste immer noch was mehr kommen, immer etwas draufsetzen. Erteilte Hausverbote hielten uns zur erneuten Einkehr nie auf.

Wir kickten in der Wilden Liga und zu der Zeit war sie auch noch wild. Keeper hatten Bauarbeiterhandschuhe, manche spielten in Docs vom Vorabend, sofern man nicht vor den Spielen noch nach Hause kam. Die Teams waren schon froh, wenn man es schaffte, 11 Leute mit den gleichen T-Shirt-Farben auf den Platz zu bekommen.

Einfach tun und machen. Es war die schönste Zeit und gerne würde ich die Uhr zurückdrehen. Weg von der Gesetztheit des Alters.

Rainy City

Wer Seattle mag, wird Bielefeld lieben. Gewagte These?

Rainy City – verregnete Stadt – heißt Seattle im Volksmund, da die Anzahl der Tage, an denen es durchregnet, ungewöhnlich hoch ist.

Die verregnete Atmosphäre passt zu dem Bild, das sich beim Ortsfremden einstellt, wenn er den Namen Seattle hört: Ist man nicht gerade ein eingefleischter Fan von Meg-Ryan-Filmen (Schlaflos in Seattle) oder den Basketballspielern der Seattle Supersonics, denkt man an graue Tristesse oder Grunge. Ersetze einfach ‚Seattle‘ durch ‚Bielefeld‘:

Wir haben Friedrich W. Murnau und sein „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens„, Arminia Bielefeld, ebenfalls einen berühmten Bürger, der ebenfalls am 27. November geboren wurde und ZZZ Hacker. In puncto grauer Himmel und Regentage können wir es allzeit gegen Seattle aufnehmen. Und beide sind, haltet euch fest, die 18. größte Stadt in ihrem Land. Zufall?

Bielefeld ist das Seattle Deutschlands.